Noras Pelikan in Aviso Einkehr

DER PELIKAN IN AVISO EINKEHR

Die Sandstraße in Bamberg hat – zugegeben wie viele Straßen – zwei Enden. An einem Ende wird in der letzten Augustwoche die Sandkärwa wieder das Kommando übernehmen. Am anderen Ende wird man sich nicht übernehmen lassen. Hier befindet sich der Pelikan.

Das Haus ist dokumentarisch gesichert seit 1400 im Halbschatten des Domes und diente als Frauenhaus. Es ist anzunehmen, dass dieser Begriff eher die Freuden durch die Frauen andeutet als den Schutz für sie. Ein Gasthaus ist der schräge Vogel seit dem verbrieften Jahr 1763.

Heutzutage weiß der Bamberger eine umfassende Antwort auf die Frage, wo man gute Thaiküche genießen kann dank eben dieses Vogels. Die Karte hält Currys, Tom Jam-Suppen, Phad Thai-Variationen, Papaya- und Glasnudelsalate bereit.

Dazu auch vom Frischesten, was Koch und Wirt auf dem Markt erstehen konnten: oftmals Spinat, Schwarzwurzeln, die exotisch anmutenden Topinambur und guten, alten, seltenen Kohlrabi in allen möglichen nicht zu überdrehten Variationen. All diese Früchte der Gärtner und Häcker und ein paar Menüpunkte auf der Karte, die bistroklassischer Natur sind (Baguettes, Salate, Antipasti) gleichen den Osten dem hiesigen Oberfranken an, indem sich das alles in schöner, fast buddhistischer Harmonie begegnet.

An festen Tagen im Jahr weiß man, dass im Pelikan die Tische und Stühle zur Seite geschoben und die Tanzbeine geschwungen werden. Der Rosenmontagsschwof ist legendär. Im Hochsommer ist ein lauschiger, von wildem Wein überwachsener Innenhof geöffnet und würde ich Alkohol trinken, so wäre die seitenlange Auswahl an Schnäpsen, Bränden und anderen flüssigen Speisen nicht ungetestet geblieben. Der Pelikan ist der Ort, an dem frau ohne Umschweife nach einer Quitten- oder Rhabarberschorle fragt.

Nach der ikonographischen Lehre ist der Pelikan ein schützendes, hingebungsvolles Wesen, dem sowohl altägyptisch als auch alttestamentarisch ein besonderer Stellenwert zukommt. Der Pelikan trägt seine Jungen im Schnabel aus allen Gefahrenzonen. Der Pelikan ernährt in Bamberg die Alteingesessenen wie die Studenten, die für das Überschreiten der inoffiziellen Bannstrecke nach einem der eigentümlichsten Einzelfachhandel Bambergs, dem Birkenstock-Laden, schräg gegenüber dem Marionettentheater des Impresarios Lohse beschenkt werden. Der Pelikan ist nicht exzentrisch, trotz Thai und Topinambur und Wirtstochter, die im größeren B ihr Heil in der Schauspielerei sucht, der Pelikan ist Kult und davon die Erweiterung: Kultur.

Die alten, schönen Wirtshaustische, das warme Licht, die festen Schaf- kopftreffen und eine wunderbare Holzbank vor dem Restaurant, an deren Seiten zwei Pelikane über die möglichen »Besetzer« schnäbeln, laden zum Verweilen ein und wenn man selbst einmal beide Welten in den eigenen Schnabel nehmen möchte, das traditionelle Bamberg und das zitronengräserne, kokosmilchige Thailand, dann sei zu Bratwurst aus dem Wok geraten. Aus vollem Herzen und am besten mit leerem Magen.

Ein Text von Nora Gomringer in Aviso Nr. 4/2011. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Nora Gomringer!